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Es ist mein größtes Ziel, aus dieser Lage wieder heraus zu kommen – das ist meine Arbeit

Deshalb bin ich sehr aktiv. Niemand kennt meine Situation so gut wie ich selbst. Niemand kennt meine Bedürfnisse wie ich selbst. Nur ich spüre die Entwicklungen, die in meinem Körper vor sich gehen. Ich bin verantwortlich, ich bin zuständig, ich bin hier die Akteurin. Ich suche die Menschen, die mit mir daran arbeiten, dass ich wieder gesund werde. Ich gestalte meine kleine Welt. Um nicht zu zerbrechen, muss ich, was mich belastet, was mir schadet, was mich stresst, ausblenden. Das betrifft Sätze, Räume, Situationen, Filme, Menschen, Themen, Gedanken, Wörter. Konkreter: Der Satz: „Da brauchst du viel Geduld“ – erzeugte nach kürzester Zeit eine Art mentale allergische Reaktion, ich habe dieses Wort aus meinem Wortschatz getilgt. Das Wort „Mut“ ist hier sehr viel wichtiger. „Vielleicht wird es nie wieder gut“ – so etwas darf man nicht denken, es darf auch niemand so etwas ausdrücken, es ist überlebenswichtig, positiv nach vorne zu schauen und alle mentalen Kräfte auf das Lebendige, Gute und Schöne zu richten. Wir sind daran gewöhnt, ziemlich schnell zu leben. Alles was wir tun, …

Schmerz und Trauer

Besser mit dem Schmerz und der Trauer bin ich zurechtgekommen, nachdem ich eine Neudefinition vorgenommen habe: Meine Arbeit ist es nun, zurechtzukommen. Dazu gehören das Verarbeiten von Schmerz und Trauer, aber auch die Recherche, die Kontakte zu Ärzten und Therapeuten und die Therapien selbst. Zu dieser Kopf-Entscheidung kam ich zum Glück relativ früh. Schmerz und Trauer brauchen Raum. In den ersten Monaten zeichnete sich eine Art Rhythmus ab: Ein paar Wochen ging alles einigermaßen gut, ich arbeitete meine Termine ab. Das Leben fühlte sich o.k. an. Dann kam, wie aus heiterem Himmel, ein Tag, an dem alles über mir zusammenbrach, der sich anfühlte wie brüchiges Eis, der mir alle Sicherheiten raubte.

Handschrift und Arbeiten am Schreibtisch

Eine Lehrerin ohne Handschrift ist eine ziemliche Katastrophe. In der rechten Hand konnte ich die ganzen Monate weder einen Stift halten, noch bekam ich beim Paketboten eine Unterschrift hin. Mit Unterstützung des linken Zeigefingers schaffte ich es, einen dicken Bleistift zu halten und einen kleinen Einkaufszettel zu schreiben. Das war es aber auch schon. Schrift ist Kulturtechnik Ab und zu versuchte ich handschriftlich zu üben, das endete aber nur in Tränen. Nicht umsonst ist Schrift eine „Kulturtechnik“ – sie gehört zum Menschsein und ohne Schrift spürt man den Verlust sehr stark. Auf der Tastatur bekam ich mit den Fingern der linken Hand keine Großschreibung hin und ich kam einfach nicht voran. Zudem war es bis Juli nicht möglich, am Schreibtisch zu sitzen, weil mein Oberkörper so verdreht war. So gab es von mir monatelang keine schriftsprachlichen Erzeugnisse, außer WhatsApp Nachrichten und Mails von der Touch-Oberfläche meines Tablets.

Leben ohne Arbeit

Ich bin mit meinem Beruf sehr eng verbunden und habe immer gearbeitet. Meine Arbeit gibt mir Struktur, Rhythmus, Stabilität und Sinn. Ich habe meine Arbeit immer sehr mit meinem Leben verbunden. Mit dem Unfall und der Nervenverletzung bin ich aus meinem bisherigen Leben herausgefallen.

06.03.2017: Beginn der Therapie

Ich habe mit Physiotherapie, dreimal wöchentlich, und Myoreflextherapie, einmal wöchentlich, begonnen. Diese Termine trugen von Anfang an wichtige Funktionen: Sie ersetzten meine Arbeit; sie gaben mir Struktur; sie brachten mich mit Menschen zusammen, von denen ich mich verstanden fühlte; und natürlich arbeitet man in dieser Zeit intensiv an der Heilung. Ich war insgesamt sehr schwach und fühlte mich krank. Schwäche und Schmerzen zwangen mich dazu, im Moment zu leben. Es flossen viele Tränen. Hier war vor allem die Arbeit meiner Myoreflextherapeutinnen sehr wichtig: Vermeiden von Sekundärschmerzen, Herstellen einer relativen ganzkörperlichen Balance, durchaus auch auf psychischer Ebene mit vielen Gesprächen. Zum Glück konnte ich mich überall hin fahren lassen. Meine Hoffnung, schnell wieder in ein Alltagsleben einzusteigen mit Chor und Italienisch lernen, hat sich sehr schnell zerschlagen.