Therapeutisches, Training
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Mein Therapiemenü

Ich kann es bestätigen: Viel hilft viel! Unter diesem Motto betreibe ich seit 15 Monaten intensiv Therapie. Im Schnitt komme ich in dieser Zeit auf eine Einheit pro Werktag, täglich!

Ich will euch hier mein „Menü“ darlegen, und euch zeigen, wie und in welcher Intensität verschiedene Therapieformen meine Heilung begünstigt und vorangebracht haben. Besonders wichtig ist für mich das Zusammenkommen unterschiedlicher Sichtweisen und Ansätze. Ihr versteht, das Ganze als Summe einzelner Teile ist wichtig!

Als weiteres Prinzip sehe ich die Notwendigkeit, das geschädigte Körperteil in den Vordergrund der Behandlung zu stellen, aber auch am ganzen Körper zu arbeiten. Denn der Körper reagiert auch bei einem „nur“ zeitweisen Verlust von Bewegungsmöglichkeiten sehr stark in Bezug auf Muskulatur, Kraft, Koordination und Ermüdung.

Denkt bei meinen Beschreibungen aber bitte daran, dass ich aus meiner individuellen Patientinnensicht berichte. Auswahl und Ablauf des „Therapiemenüs“ stammen von mir aufgrund von Wissen, Erfahrung, Recherche, Intuition und Impulsen zur richtigen Zeit von den richtigen Menschen. Danke dafür! Klar ist: So habe ich es gemacht, das muss nicht für jede Patientin, jeden Patienten passen.

Mein Appell an alle Ärzte: Bitte seien Sie großzügig mit der Vergabe von Rezepten! Wirksame Bewegungstherapie ist bei einer peripheren Nervenverletzung wirklich von allergrößter Bedeutung. Patienten mit peripheren Nervenverletzungen sind nicht in der Lage, so wie Krankenkassen meinen, in der Therapie gelernte Übungen zu Hause fortzusetzen. Denn es ist meist nicht möglich, Bewegung selbst zu kontrollieren. Zudem ist aktives Üben erst sehr spät im Behandlungsablauf möglich, das liegt in der Natur der Sache ….

Ich hoffe sehr, dass die Forschung sich mit der Wirksamkeit von Therapieansätzen in der Behandlung peripherer Nervenverletzungen befasst. Es wäre wunderbar, wenn zukünftig in den Leitlinien, die ja Wegweiser für alle Behandelnden, aber auch für Patientinnen und Patienten darstellen, aufgelistet würde, welche Arten, Formen und Therapiekonzepte in welcher Intensität angewendet werden müssen.

Vorspeise: Wundheilung nach der OP

Nach den OPs bekam ich sanfte Behandlungen im Rahmen von Lymphdrainage und manueller Therapie in der Physiopraxis. Es ging um den Abbau von Schwellungen, um Durchblutungsförderung, passives Bewegen und Förderung des Heilungsprozesses. Ich hatte wöchentlich drei Termine Physiotherapie, je 1 Stunde, davon 15 Minuten Elektrobehandlung. Ich begann sofort nach der ersten OP mit Myoreflextherapie, bis heute ein wöchentlicher Termin – lest dazu den Artikel meiner Heilpraktikerin. In meiner schwierigen Situation – Unfallschock, gebrochene Schulter, gelähmte Hand – lebensnotwendig. Das Fantastische an der Myoreflextherapie ist für mich die ganzheitliche Sichtweise, die Verbindung von Körper und Psyche. Die Gespräche, die die Behandlung begleiten, führen mich immer wieder zu einer positiven und nach vorne gerichteten Grundeinstellung zurück, auch wenn die Perspektive über Monate sehr unklar war. Zugleich wird in der Behandlung auf ein muskuläres Gleichgewicht hingearbeitet, sodass Schmerzzustände reduziert auftreten.

Wenige Wochen später begann ich mit zwei wöchentlichen Terminen (45 Minuten) Ergotherapie bei einer neurologisch orientierten Therapeutin, die mit dem Bobath-Konzept arbeitet. Wieder kurz danach entdeckte ich die handtherapeutische Schwerpunktpraxis (auch Ergotherapie) in Ulm. Dorthin fuhr ich für die Dauer eines Rezepts. Ich erhielt ein Elektrostimulationsgerät, das ich ein Jahr lang zweimal täglich je 10 Minuten lang anwendete. Ich lernte die Faszientherapie kennen und erfuhr Wissenswertes zur Narbenbehandlung.

Erster Gang: Erweiterung der Bewegung

Versorgt mit meiner NeaManex-Schiene und später mit dem Tape, erweiterten sich meine Möglichkeiten und mein Bewegungsradius. Ich konnte zwei Monate nach dem Unfall im Restaurant sitzen (die Speisenauswahl begrenzte sich auf einhändig Essbares) und schon eine Stunde bergauf gehen, das war ein riesiger Erfolg.

In der Physio- und in der Ergopraxis wurden meine Schulterbeweglichkeit passiv und auch schon ein wenig aktiv trainiert und mein Nerv stimuliert, zum Beispiel mit PNF. Ich hatte schon einige Übungen für zu Hause. In der Ergotherapie wurden alle Gelenke meiner Fallhand passiv durchbewegt, damit es in der Zeit der Lähmung keinesfalls zu Gelenkversteifungen (Kontrakturen) käme. Ich erhielt Ultraschallbehandlungen und eine Zeit lang war es sehr angenehm, meinen Arm in eine Wanne mit weißen Bohnen zu tauchen (im türkischen Laden gibt es Großpackungen), es war kühlend und angenehm auf der Haut.

Zweiter Gang: Nach der Neurolyse

Nach der zweiten OP im Juni 17, vier Monate nach dem Unfall, erhielt ich wieder Lymphdrainage und führte alle Therapietermine weiter. In der Ergotherapie lernte ich die Spiegeltherapie kennen und übte erste Bewegungen mit der rechten Hand. Ich hatte eine Handtherapeutin in meiner Nähe gefunden (1-2 Termine pro Woche), die meinem Mann das Anlegen eines Tapes zeigte und mir eine angenehme „Ruheschiene“ für die Nacht baute. Ein Osteopathietermin alle 4-6 Wochen kam dazu. Nach der Osteopathie fühlen sich Knochen, Gelenke und Muskeln wie „neu sortiert“ an. In der Physiotherapie erlebte ich die fantastischen Möglichkeiten manueller Therapie. Ich entdeckte „Krankengymnastik an Geräten“ (KGG) mit einem Termin pro Woche. Nach dem Abheilen meiner Narben besuchte ich so oft es ging (und ich einen Fahrer hatte) das Thermalbad, im Sommer zusätzlich das Freibad. Schwimmen ging/ geht nicht, aber Aquajogging. Das warme Wasser erlaubt mir schwerelose Bewegungen, die ich an Land nicht vermag. Ich suchte die Anstrengung, wollte auf jeden Berg steigen und versuchte mit allen Mitteln, meine verlorene Kraft und Muskulatur wieder aufzubauen. Harte Arbeit! Im August versuchte ich, die Berge mit Wanderstöcken hoch zu kraxeln, das war zwar total asymmetrisch, aber ein Riesenerfolg! Meine Hand zu benutzen war eine große Kunst geworden, aber irgendwie veränderte sich etwas zum Positiven.

Dritter Gang: Stabiles Handgelenk

Ich führte alle Therapien weiter und hatte manchmal zehn Termine pro Woche. Mein stabiles Handgelenk eröffnete mir sieben Monate nach dem Unfall eine neue Welt, ständig konnte ich etwas Neues, wie ein kleines Kind. In der KGG lernte ich Nordic Walking und das Training wurde aktiver und anstrengender. Ich lief durch die Gegend, was das Zeug hielt. Das Metall in meinem Oberarm wurde entfernt und ich hatte wieder mit Heilen und Narbenbehandlung zu tun. Diesmal verhielt sich die Narbe etwas komplizierter. Im Oktober, nach 8 Monaten, konnte ich wieder Auto fahren. Im November nahm ich meinen Vertrag im Sportstudio wieder auf und erarbeitete mit einer Physiotherapeutin einen ersten selbstständigen Trainingsplan. Zweimal pro Woche trainierte ich im Studio nur Übungen, die ich auch selbst kontrollieren konnte. Ich hatte mir einige Schonhaltungen angewöhnt, die ich nur durch Lernen und Kontrolle von außen irgendwann in der Zukunft wieder auflösen kann.

Vierter Gang: Die Mühen der Ebene

Über den Winter passierte nichts offensichtlich Spektakuläres. Insgesamt hatte ich pro Woche ca. 15 Stunden und mehr mit Therapien zu tun, Arztbesuche nicht gerechnet. Das Erarbeiten von Kraft, Beweglichkeit, Koordination und Feinmotorik vollzog sich unter großem Einsatz und Konsequenz; die Rückmeldung, der Trainingserfolg waren jeweils erst mit großer Zeitverzögerung sicht- und spürbar. Im vergangenen Winter mit bleigrau verhangenen Himmel war das nicht immer einfach.

Zum Glück war ich deutlich mobiler und gönnte mir den wöchentlichen Thermalbadbesuch. In der Physiotherapie profitierte ich von der Wärmebehandlung mit Fangopackungen.

Fünfter Gang: It’s not over …

Meine Handfunktion verbesserte sich im Winter deutlich, sodass Handschrift und Aufgaben in der Küche wieder möglich waren. Ich war wieder alltagskompatibler geworden, und bezahlte die „neuen“ Fähigkeiten mit großer Erschöpfung. Ich konnte Aufgaben bewältigen, ich wollte es auch, doch war einfach alles unglaublich anstrengend. Ich konnte tagsüber zwei Stunden tief schlafen.

Von außen wirkte ich wohl recht „normal“, und hörte jetzt oft die Frage, wann ich denn wieder arbeiten würde. Doch daran war ein Jahr nach dem Unfall noch nicht zu denken. Man lebt in einer anderen Zeitdimension. Meine Regeneration ist vergleichsweise „turboschnell“. Kein Arzt hätte gedacht, dass meine Bewegung in der „kurzen“ Zeit in dem Maße zurückkehrt, wie es geschehen ist(!).

In der Physiotherapie entdeckte ich im Februar die Boeger Narbentherapie und profitiere von dieser Behandlung sehr. Durch das Lösen von verklebtem Gewebe im Bereich meiner Narben und damit verbundenen Faszien (kann recht schmerzhaft sein!) erlebe ich eine großartige Verbesserung meiner Bewegung im Bereich der Schulter.

Einem Impuls folgend, setzte ich mich aufs Fahrrad – es funktionierte! Dazu die Entdeckung, dass meine Stützmuskulatur dafür nicht ausreicht – Nackenschmerzen! Also eine neue Trainingsaufgabe.

Deutlich spürte ich nun ein Gefühl des „Verdrehtseins“, ausgelöst durch ein ganzkörperliches Ungleichgewicht. Ich begann mit Feldenkrais Einzelstunden, einmal pro Woche. Ich finde es großartig, mittels kleiner und kleinster Bewegungen, ausgehend von der Körpermitte, langsam zu einem Gleichgewicht zurückzukehren. Ich glaube, es wird funktionieren.

Heute kann ich schon wieder viele Alltagsdinge regeln, brauche jedoch nach wie vor viel Zeit und Energie für meine Therapien. Ich führe sie im gleichen Umfang fort, das ist der Auftrag von Professor Antoniadis.

Das ist der Stand der Dinge. Der Nachtisch ist noch nicht in Sicht. Aber er kommt. Und wird köstlich!

 

 

 

 

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