Nervenverletzungen, die bei Unfällen oder auch bei operativen Eingriffen auftreten, müssen rechtzeitig diagnostiziert werden. Die behandelnden Ärzte müssen die Patienten engmaschig kontrollieren und entsprechend den erhobenen Befunden die adäquate Therapie einleiten.
Die Nervenverletzungen werden entsprechend der Schädigung der Nervenstrukturen in fünf Graden eingeteilt. Patienten mit einem Schaden Grad 1 bis 3 haben die beste Prognose, da sich die Lähmungen und Sensibilitätsstörungen durch eine intensive physiotherapeutische und ergotherapeutische Behandlung zurückbilden. Bei Schäden Grad 4 und 5 muss eine operative Behandlung mit einer Rekonstruktion des geschädigten Nervs erfolgen.
Nur neurologische, neurophysiologische (Muskel und Nervenmessungen) und neurosonographische (Ultraschall) Untersuchungen mit Kontrollen alle vier Wochen können Aufschluss darüber geben, wie die Patienten optimal behandelt werden können.
Einteilung der Nervenverletzungen
Die Nervenverletzungen werden in Offene und Geschlossene eingeteilt.
Bei offenen Verletzungen (z.B. bei Schnittwunden) muss der durchtrennte Nerv entweder sofort oder nach drei Wochen (Sekundärversorgung) rekonstruiert werden. Die Entscheidung trifft der Chirurg, abhängig vom intraoperativen Befund.
Bei geschlossenen Verletzungen (z.B. Oberarmbruch mit Verletzung des Speichennervs) sollte die erste neurologische, neurophysiologische und neurosonographische Untersuchung drei Wochen nach dem Trauma erfolgen. Der Zeitpunkt dieser Untersuchung ist entscheidend über das weitere therapeutische Vorgehen. Wenn der Nerv durchtrennt ist oder erhebliche strukturelle Schäden bei der Ultraschalluntersuchung nachgewiesen werden, dann ist eine zeitnahe operative Behandlung erforderlich. Ist es nicht der Fall, sollten diese Untersuchungen alle vier Wochen durchgeführt werden. Wenn im dritten Monat nach Auftreten des Schadens keine klinischen oder neurophysiologischen Zeichen einer Reinnervation vorliegen, dann muss die operative Inspektion des Nervs mit höchstwahrscheinlicher Nervenrekonstruktion bis zum sechsten Monat geplant werden.
Vorgehen bei Nervenverletzungen als Algorithmus:
Operative Behandlung:
Die Operation muss mikrochirurgisch durchgeführt werden. Während der Operation kann der Chirurg Untersuchungen zur Beurteilung der Leitfähigkeit (Neurographie) und der Struktur (Ultraschall) des Nervs vornehmen.
Die häufigsten operativen Techniken sind:
- Neurolyse (Entfernung der inneren und äußeren Narben am Nerv)
- End-zu-End-Naht (Es werden beide Nervenden koaptiert)
- Rekonstruktion mit autologer Transplantation (z.B. mit Entnahme von Hautnerven aus dem eigenen Körper)
- Teiltransplantation (wenn nicht der gesamte Nerv sondern ein Teil davon betroffen ist)
Abbildung: Durchtrennter Nerv (A), End-zu-End-Naht (B) und autologe Nerventransplantation (C)
Prognose:
Die Prognose ist von dem Zeitpunkt der Operation, der Erfahrung des Operateurs und dem zur Verfügung stehenden mikrochirurgischen Instrumentarium und dem Nahtmaterial abhängig.
Andere prognostisch bedeutende Faktoren sind:
- die Art der Verletzung
- die Art des Nervs (motorisch, sensibel, gemischt) und
- die Höhe der Nervenverletzung
(Da die Nerven durchschnittlich um ca. 1 mm pro Tag wachsen, spielt der Abstand zwischen der Höhe der Verletzung und der versorgten Muskeln eine entscheidende Rolle. Auch der Zeitraum zwischen Nervenverletzung und operative Behandlung muss dabei berücksichtigt werden).
Leitlinien:
Deutsche Gesellschaft für Handchirurgie (DGH), Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN), Deutsche Gesellschaft für Neurochirurgie (DGNC), Deutsche Gesellschaft für Orthopädie und Orthopädische Chirurgie (DGOOC), Deutsche Gesellschaft der Plastischen, Rekonstruktiven und Ästhetischen Chirurgen (DGPRÄC), Deutsche Gesellschaft für Unfallchirurgie (DGU):
Leitlinen: Versorgung peripherer Nervenverletzungen. http://www.awmf.org/leitlinien/detail/ ll/005–010.html (Stand 30.06.2013)
Standardwerk: Kretschmer T, Antoniadis G, Assmus H: „Nervenchirurgie“; Springer Verlag, 2014
Publikation zu iatrogenen Nervenläsionen: Gregor Antoniadis, Thomas Kretschmer, Maria Teresa Pedro, Ralph W. König, Christian W.G. Heinen, Hans-Peter Richter.
Iatrogene Nervenläsionen – Prävalenz, Diagnostik, Therapie
Deutsches Ärzteblatt, 2014, Jg. 111, Heft 16, Seite 1-7